Bei der Darstellung und Werbung mit der eigenen Firmengeschichte sollten auch „schwarze Flecken“ auf der eigentlich gewünschten „reinen Weste“ nicht verschwiegen werden. Sonst läuft man schnell Gefahr, dass andere die Deutungshoheit darüber übernehmen. Welche offene Flanke solche „Geschichtslücken“ bieten können, das zeigt aktuell das Beispiel des Luchterhand-Verlags und dessen fehlende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit.
Präventive Krisenkommunikation: Eine rechtzeitig Archivrecherche schützt vor unerwünschter PR-Überraschung
Beim Verlag hieß es über die Zeit zwischen 1933 und 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg offiziell, Verlagsgründer Hermann Luchterhand und Verlagschef Eduard Reifferscheid hätten in kritischer Distanz zum Nationalsozialismus gestanden. Eingehender untersucht hatte man diese Aussage später aber offenbar nicht. Stattdessen nahm sich die „tageszeitung“ (taz) dieses Themas an und berichtete über „Das braune Kapitel“ des renommierten Verlages. Dabei stützt sich die „taz“ auf öffentlich frei zugängliche Unterlagen im Berliner Landesarchiv.
Rückblick: Erzwungene Veräußerung
Demnach hat der Verlag in seinen Gründungsjahren – womöglich sogar gezielt – von der Unterdrückungspolitik der Nazis profitiert. Konkret habe sich der Verlag 1939 zu einem äußerst günstigen Preis in die Druckerei Otto Heinrich Scholz eingekauft. Scholz wurde von den Nationalsozialisten wegen seiner jüdischen Lebensgefährtin drangsaliert und emigrierte schließlich mit ihr nach Großbritannien. In Deutschland wurde unter dem Vorwurf der „Rassenschande“ ein offizielles Ausbürgerungsverfahren gegen Scholz eingeleitet. Im Zuge dessen klagten Luchterhand und Reifferscheidt ebenfalls gegen Scholz und drängten ihn so aus seiner Druckerei heraus.
Wie die „taz“ weiter berichtet, versuchte Scholz nach Kriegsende eine Wiedergutmachung zu erreichen. Ein entsprechendes Verfahren sei im Berliner Landesarchiv dokumentiert. Darin habe der „Treuhänder der Amerikanischen, Britischen und Französischen Militärregierung für zwangsübertragene Vermögen“ festgestellt, dass der Einstieg des Luchterhand Verlags bei Scholz erzwungen gewesen sei. Die „Veräußerung“ an Luchterhand sei „eine Entziehung“ gewesen, die „auf jeden Fall“ durch Zwang veranlasst worden sei, schreibt laut „taz“ auch ein anderer Gutachter. Ein Gericht habe die Auffassung schließlich 1955 bestätigt: Das Rechtsgeschäft vom 3. Mai 1939 habe sich offensichtlich „aus den genannten Verfolgungsmaßnahmen ergeben“. Während des Wiedergutmachungs-Verfahrens hat sich Scholz‘ Anwalt der „tageszeitung“ zufolge zudem auf Zeugen berufen, die beschrieben, wie sich Heinz Luchterhand und Verlagschef Reifferscheidt abfällig über das von den Nazis verfolgte Paar äußerten.
Verlorene Deutungshoheit
Der Luchterhand Verlag hat dieses Kapitel seiner Historie offenbar bislang nicht fundiert aufgearbeitet. Stattdessen wurde der 1992 verstorbene Verlagschef Reifferscheidt, wie schon anfangs erwähnt, offiziell als Nazi-Gegner dargestellt. Von den „taz“-Berichten wurde der Münchener Luchterhand Literaturverlag, der in der Nachfolge des Luchterhand Verlages steht, nun offenbar kalt erwischt. In einer ersten Reaktion auf die „taz“-Nachfrage erklärt der Verlag, man habe von den Ergebnissen dieser Recherche „heute zum ersten Mal erfahren“. Dem Unternehmen sei „sehr daran gelegen, die, folgt man den vorliegenden taz-Recherchen, bestürzenden und beschämenden Vorgänge in der NS-Zeit rückhaltlos aufzuklären“. Dazu wolle man in den kommenden Wochen geeignete Wissenschaftler für eine unabhängige Aufarbeitung der Verlagsgeschichte gewinnen. Fortschritte und Ergebnisse entsprechender Recherchen sollen zeitnah öffentlich kommuniziert werden.
Die angekündigten Maßnahmen sind sicher positiv zu werten – nur kommen sie zu spät. Das Kind ist sprichwörtlich schon in den Brunnen gefallen. Die „taz“ war erfolgreich beim „Agenda Setting“: Ihre Recherchen zur Vergangenheit des etablierten Luchterhand-Verlages – in dem unter anderem auch die „Blechtrommel“ von Günter Grass erschienen ist – haben für einigen medialen Wirbel gesorgt. Viele große (und kleinere) Zeitungen und Magazine griffen das Thema auf – auch in Österreich und der Schweiz (wie ein schneller Klick zu Google News zeigt). Der Verlag steht hierbei, mit Verlaub, ziemlich belämmert daneben und kann der PR-Krise mit der angekündigten Aufarbeitung und Transparenz nur wenig entgegensetzen.
An diesem Beispiel zeigt sich mal wieder, wie wichtig eine rechtzeitige und fundierte Aufarbeitung der eigenen Geschichte und deren Darstellung sind. Dies trägt wesentlich dazu bei, die Deutungshoheit über die eigene Geschichte zu behalten und sie nicht anderen überlassen zu müssen. Geschichtsarbeit ist somit auch als präventive Krisenkommunikation zu verstehen.
Mehr zum Luchterhand-Verlag in der NS-Zeit:
- Erst jetzt gestehen viele Intellektuelle ihre NS-Vergangenheit ein: Was nie gesagt worden ist (taz – Kommentar von Philipp Gessler)
- Nach taz-Recherchen zur Nazi-Zeit: Luchterhand kündigt Aufarbeitung an (taz)
- Luchterhand: Kleine Verlagsgeschichte (Verlagsgruppe Random House)
- Vorwurf: Luchterhand an NS-Unrecht beteiligt – Verlag verspricht Aufklärung (tagesspiegel.de)
(Übrigens: Erst am 28. August 1961, zwei Jahrzehnte nach der Übernahme der Scholz’schen Druckerei, kam es der „tageszeitung“ zufolge zwischen Scholz und dem Luchterhand-Verlag zu einem Vergleich: Scholz erhielt 125.000 Mark und nahm dafür die Rückerstattungsansprüche zurück. – 1972 wurde der Luchterhand Verlag gespalten: Der literarische Teil gehört heute zu Random House. Der Fachverlag wurde aufgelöst, die Marke gehört noch zum holländischen Konzern Wolters Kluwer.)
Mit Quellen von: siehe Links
Bild: Stefan Emilius / pixelio.de
(Ende) geschichtskombinat.de/29.08.2012/mar