In der DDR wurden bei der Auftragsproduktion von Möbeln und einzelnen Möbelteilen für den schwedischen Konzern IKEA politische Häftlinge und Strafgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt – wovon das Unternehmen spätestens ab 1981 Kenntnis hatte. Heute bedauern die Schweden, damals nur unzureichende Schritte dagegen unternommen zu haben. Gleichzeitig verweigert sich der Konzern aber einer umfassenden kritischen Aufarbeitung.
Eigentlich sollte man IKEAs Bemühungen um Aufarbeitung in allen Ehren sehen: Immerhin sind die Schweden eine der wenigen westlichen Firmen, die sich – wenn auch unter großem öffentlichen Druck – der Aufarbeitung dieses umstrittenen Themas stellen. Doch was das Unternehmen jetzt als Ergebnis einer Sonderuntersuchung bietet, ist einfach zu wenig! Wirkliche Transparenz sieht anders aus.
Erkenntnisse nicht für die Öffentlichkeit
Insgesamt ließ IKEA nach eigenen Angaben zwischen Mai und Oktober 2012 rund 100.000 Seiten relevanter Unterlagen und Akten aus internen Konzernarchiven sowie verschiedenen Bundes- und Landesarchiven auswerten. Des Weiteren seien 90 Gespräche mit noch aktiven bzw. früheren IKEA-Mitarbeitern sowie mit Betroffenen und/oder Zeitzeugen der damaligen DDR geführt worden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse seien in einen Gesamtbericht eingeflossen, der mehr als 1.000 Seiten umfasse.
So weit, so gut, doch jetzt kommt der Haken: IKEA will den Gesamtbericht über den Einsatz von Zwangsarbeitern bei der Möbelproduktion in der DDR nicht öffentlich machen – angeblich aus Datenschutzgründen, wie der Geschäftsführer von IKEA Deutschland, Peter Betzel, bei der Vorstellung der Untersuchung am vergangenen Freitag sagte. Stattdessen legte der Konzern eine magere 6-Seiten-Zusammenfassung vor, die im Prinzip nur bestätigt, worüber bereits vor mehren Monaten in zahlreichen Medienberichten diskutiert wurde: Ja, IKEA hatte möglicherweise schon ab 1978, aber spätestens seit 1981 „Kenntnisse über den möglichen Einsatz von politischen Gefangenen“ bei der Auftragsproduktion durch die DDR. In welchem Ausmaß die IKEA-Führung darüber Bescheid wusste und welche Schritte konkret dagegen unternommen worden sind – hierzu finden sich in der Zusammenfassung nur einige unzureichende Andeutungen. Ebenso fehlen konkrete Quellenangaben, was eine unabhängige Prüfung (und Bewertung) der Erkenntnisse deutlich erschwert.
Mangelnde Transparenz öffnet Tür für Spekulationen
Diese Ergebnispräsentation einer geschichtlichen Aufarbeitung kann man noch nicht mal halbherzig nennen – sie ist unter dem Gesichtspunkt von Transparenz und Verantwortlichkeit, mit Verlaub, eigentlich nur ein Witz. Sich hinter dem Datenschutz zu verstecken, damit macht man es sich bei IKEA zu einfach. Wer wirklich Transparenz will, dem bieten sich hier andere Wege, sei es durch Anonymisierung oder indem man die (noch lebenden) Betroffenen um eine Zustimmung zur Namensnennung bittet. Insofern hat der Bundesbeauftragte für die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit, Roland Jahn, völlig zu Recht bei der Ergebnisvorstellung die Frage gestellt, ob IKEA mit der Untersuchung „aufklären oder verklären“ will.
Irgendwie kann man sich da auch nur schwer des Eindrucks erwehren, dass der schwedische Möbelhändler zumindest einige Erkenntnisse aus dem Gesamtbericht lieber unter Verschluss halten möchte. Das betrifft beispielsweise die Frage, warum sich das Unternehmen in Anbetracht der Hinweise auf den Einsatz politischer Häftlinge nicht aus der DDR zurückgezogen hat. Oder hat das IKEA-Management diese Hinweise womöglich in den Vertragsverhandlungen mit der DDR genutzt, um die Kostenforderungen der DDR-Seite noch einige Prozentpunkte drücken zu können? Und welche Betriebe bzw. Produktionsstandorte waren denn nun konkret in der DDR in die Auftragsfertigung für IKEA eingebunden? Wer (angeblich) mehr als 80.000 Seiten an Archivmaterial aus DDR-Zeiten durchsieht, sollte dazu eigentlich über entsprechende Informationen verfügen. Womöglich hielt man bei IKEA eine solche Übersicht einfach für nicht wichtig. Womöglich versucht man so aber auch, den Umfang der Häftlingsarbeit zu verschleiern und/oder eine in der Diskussion befindliche Opferentschädigung zu erschweren.
Diese Fragen sind nur einige Beispiele dafür, zu welchen Spekulationen und Mutmaßungen eine mangelnde Transparenz führen kann. Ob IKEA jedoch den Forderungen der Kritiker folgt, den Gesamtbericht so umfassend wie möglich für eine unabhängige Prüfung zur Verfügung zu stellen, bleibt abzuwarten.
Wie genau wurde recherchiert?
Fragen wirft im Übrigen auch der Umfang und die Tiefe der geschichtlichen Aufarbeitung auf. Nach IKEA-Angaben wurden in der Zeit vom 10. Mai bis zum 20. Oktober 2012 ca. 20.000 Seiten aus internen IKEA-Archiven, rund 1.550 Blatt aus den Archiven der Stasi-Unterlagenbehörde BStU sowie weitere ca. 80.000 Blatt aus weiteren Bundes- und Landesarchiven gesichtet – insgesamt also rund 100.000 Blatt. Und das alles in einem Zeitraum von gut fünf Monaten? Bei grob gerechnet 4 Wochen á 5 Arbeitstage je Monat wurden also in 100 Arbeitstagen im Durchschnitt jeweils 1.000 Seiten durchgesehen.
Wirklich ein beeindruckendes Pensum – und dabei sind die üblichen Vorlaufzeiten für eine Archivrecherche, die Zeit zur Dokumentation der gefundenen Ergebnisse, die ergänzenden Zeitzeugen-Interviews oder auch mögliche Einschränkungen durch die sommerliche Urlaubszeit noch gar nicht berücksichtigt. Angesichts dessen kann man sich zumindest mal die Frage stellen, ob IKEA (bzw. die damit beauftragte Unternehmensberatung Ernst & Young – siehe nachstehende Absätze) wirklich in der kurzen Zeit ein entsprechend großes Rechercheteam zusammengestellt hat oder ob die Recherche womöglich nur ziemlich oberflächlich durchgeführt wurde.
Kritik an fehlender Neutralität
Die Untersuchung über den möglichen Einsatz von politischen Häftlingen als Zwangsarbeiter bei der Produktion von IKEA-Möbeln in der DDR hatte bereits vor ihrer Ergebnispräsentation für etliche Kritik gesorgt. So warf beispielsweise der Verein DDR-Opfer-Hilfe dem schwedischen Möbelkonzern die „Inszenierung einer unwissenschaftlichen Show-Veranstaltung“ vor. Die Studie lasse die wissenschaftlichen Mindeststandards vermissen. Zudem sei sie nicht von unabhängigen Experten, sondern durch die Unternehmensberatung Ernst and Young erstellt worden – „womöglich sogar gegen Bezahlung“.
„IKEA als Beschuldigter führt selbst die Ermittlungen, anstatt das unvoreingenommenen Stellen zu überlassen. Deshalb bezweifeln wir sehr, dass die Studienergebnisse valide sind“, erklärte dazu der Vize-Vorsitzende des Vereins DDR-Opfer-Hilfe, Roland Schulz (.pdf-Datei). Besser wäre es, wenn das Thema beispielsweise vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin unter Einbindung fachkundiger Historiker und Politikwissenschaftler untersucht werden würde.
Kritik an der Untersuchung kam auch vom Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe. Er hält es für „grundsätzlich schwierig, wenn ein Beschuldigter die Ermittlungen zu seinem Fall selbst führt“. Das werde besser durch eine neutrale Instanz übernommen. Überdies sei es notwendig, dabei auch Historiker hinzuziehen. Letzteres sei seinen Informationen zufolge nicht passiert.
(Ende) geschichtspuls/18.11.2012/mar